Samstag, 7. März 2009

Schwabing fläzt frontal

Die Sonnenseite des Münchner Nachtlebens liegt in den Cafés, nein nicht drin, sondern vielmehr davor. Insofern führt „Mjunik Disco“ in die Irre, wenn es Schwabing drinnen am Tresen des Café Capri sucht.

Schwabing steht nicht versteckt dumm rum. Schwabing fläzt frontal. Vor dem Lokal. Wo es jeder sehen kann: Daß es nicht arbeitet. Sondern flirtet. Raucht. Kaffee trinkt. Zeitung liest. Quatscht. Und den Rechner eingesteckt läßt. Denn das Notebook macht das Café zum Büro. Das mag in Prenzlberg schick sein und damit natürlich auch im Glockenbachviertel. Aber Schwabing bleibt die Kirche der Cappuccinisten. Keine digitale Bohème, sondern veritable Müßig-, nicht etwa Einzelgänger.

Sackgassen und Nebenstraßen interessieren sie nicht, sie brauchen die Hauptverkehrsader, den steten Puls der Autos, MVV-Linien und Fußgängerherden, denen sie sich wie Stromschnellen in den Weg stellen. Im Venezia am Kurfürstenplatz, dem Macchiato an der Münchner Freiheit, dem Milchhäusl im Englischen Garten, im Barer 61 oder Pavesi an der Türkenstraße – letztere nur gefühltes Schwabing, denn Wahnmoching endet an der Georgenstraße. Doch der Planet Schwabylon schließt das Akademieviertel mit ein.

Und es ist ein Planet der Wahrheit. Nicht der Verstellung wie das Nachtleben, wo die Freiheit grenzenlos ist, weil jeder sich in etwas Besseres verwandeln kann. In Schwabing offenbart sich das wahre Ich: Die Arbeiterbiene, die nur kurz einfliegt und mit ihrem Coffee to go gleich weiterschwirrt. Die Drohne, die geschäftig ihr Meeting ins Café verlagert. Und die Königin, die vielen Königinnen, deren Reich im Kaffeehaus liegt und deren Hymne das Singsang der Milchschaumdüse ist.

Dieser Text erschien zuerst in der März-Ausgabe des Münchner „Spy Magazins“.

(Foto: Narziss und Goldhund)