Montag, 2. November 2009

In den Klauen der Künstler

Café. Coffeeshop. Bar. Cucina. An jeder Ecke. Und zwischendrin. Irgendwann, wenn auch der letzte Schreib- oder Haushaltswarenladen vertrieben wurde, werden sie die Lokale nicht mehr nur aneinanderreihen, sondern vertikal in ein- und demselben Haus stapeln müssen. München, Metropole der selbst ernannten Cappuccinisten, goes Tokyo.
Mag Helmut Dietl in den siebziger Jahren noch gefragt haben, „woran es liegt, dass der Einzelne sich nicht wohl fühlt, obwohl es uns allen doch so gut geht“, so ist das Mysterium des 21. Jahrhunderts, wieso die Lokale mit ihren überteuerten Kaffeeschaumgetränken und Spritzkelchen – selbst tagsüber – gut besucht sind, wo unsere finanzielle Situation doch längst recht prekär ist. Doch warum soll man über die Wirtschaften Schwabings und des Akademieviertels schreiben, unterscheiden sie sich doch kaum von denen Neuhausens, des Lehels oder der Isarvorstadt.
Es sind die Gäste, die anders sind, die Künstler. Natürlich haben wir keine Exklusivrechte an Münchens Schriftstellern und Pinselschwenkern, aber nirgendwo sind sie dem Erbe der legendären Maler- und Dichterfürsten so nah wie hier zwischen Pinakothek und Kunstakademie, Autorenbuchhandlung und Lyrik-Kabinett. Genius loci. Während ein emsig in sein Blankobrevier Kritzelnder in der Favorit-Bar, also Altstadt, nur peinlich wirkt, würde man demselben Poser im Barer 61 zugute halten, dass es vielleicht doch nicht nur seine Aufrissmasche ist.
Könnte ja der kommende Bachmannpreisträger sein. Oder Biennale-Star. Der einen zwar auch nur abgeschleppt. Aber als Muse. Oder Modell. Eine nach der anderen.
Weshalb ich es mir kaum vorstellen kann, dass Manuskriptum, die Literatenschmiede der LMU, ihr 10-Jähriges am 13. November im winzigen Lyrik-Kabinett feiert. Allein die Schar der Verflossenen müsste doch reichen, bei der Jubiläumslesung einen großen Unisaal im Hauptgebäude gegenüber zu füllen. Von den Frauen, die sich noch Hoffnung machen, ganz zu schweigen.
Die wirklich Schönen, die nicht in Worten, sondern nur in strahlendsten Farben zu verewigen sind, vielleicht weil sie die Werke auch gerne bezahlen, feiern dagegen am 28. November in der Pinakothek der Moderne. „Let’s party for a piece of art“ – klingt eher nach einer Einladung für Kunstkannibalen, denn nach einem guten Zweck.

Dieser Text erschien zuerst in der November-Ausgabe des Münchner „Spy Magazins“.